Reise mit Folgen
Reisen mit der Bahn, DB
© Ute M. , 26. August 2019
Cousine Sunny will reisen. Spontan wie sie ist, sucht sie
die beste Verbindungsstrecke im Internet. Sie klickt und
klickt, doch dann wird’s kompliziert, denn ohne Kreditkarte
läuft dort nichts. Und Sunny hat diese nicht. Präziser,
zu viele Karten will sie nicht.
Doch Sunny weiß sich zu helfen. Sie holt sich Hilfe. So wie
sie es gewohnt ist, geht sie in’s Reisebüro. Erst eins, dann
zwei, dann drei. Bald hört sie auf zu zählen, denn Bahn Fahrkarten
verkauft keines ihrer aufgesuchten Büros mehr. „Viel Arbeit, wenig Saläre! Sie müssen in’s Reisezentrum gehen! Dort wird Ihnen geholfen,“ wird ihr übereinstimmend empfohlen.
Sunny, tut alles brav, so wie ihr geraten wird. Sie geht nicht, sondern sie fährt mit dem Bus über die Dörfer. Tatsächlich, sie ist nach einigen Stunden stolze Besitzerin einer Fahrkarte für den IC, erste Klasse. Große Freude bei ihr, denn erste Klasse ist sie mit ihren 80 Jahren noch nie gefahren. Es war immer zu teuer. Bewußt verzichtete sie deshalb auf diesen Luxus.
„Alleine so weit reisen? Mit Handicaps im Alter? Die Ansagen verstehe ich nicht klar und deutlich, besonders bei Nebengeräuschen, Nuschel- oder Schnellredner-Durchsagen. Oft gibt es sogar gar keine Informationen. Lesen ist inzwischen auch ein Problem. Zeit und Aufmerksamkeit haben Mitreisende eher für ihr technisches Equipment als für Mitreisende.
Gebannt starren sie meist auf’s Handy. Nachher sitze ich womöglich im falschen Zug? Noch nicht einmal eine andere S-Bahn darf ich nehmen, als die mit der aufgedruckten Uhrzeit, obwohl eine S-Bahn alle 20 Minuten vorbei fährt. Aber nein, ich darf nur diese eine S-Bahn um 8.23 Uhr nehmen, die auf der Fahrkarte steht. Ansonsten bin ich bereits eine Schwarzfahrerin?“, grübelt sie noch, als Kurti sie anruft.
Ergebnis des Telefongesprächs. Kurti KUCK wird ihr Reisebegleiter.
Sonny ist glücklich. Sie sitzen beide im Zug. „Kuri, sag mal, was hast Du für Deine Fahrkarte bezahlt?“, fragt sie plötzlich. Es folgt nach seiner Antwort minutenlange Stille. Unvermittelt folgt ein lauter Wortschwall. Sunny legt ihre restlichen Altersenergien in ihre immer lauter werdende Stimme. „Was? Was hast Du bezahlt? Der Preis ist heiß.“
Intransparente Preisgestaltung für Spontanreisende
„Nein Sunny, es heißt, der Preis ist geil.“
„Geil, heiß ist gleich. Beides ist eine Unverschämtheit, mich so abzuzocken. Meine Fahrkarte ist fast vier mal so teuer wie Deine. Sie hat mich mindestens vier mal mehr eigenen Einsatz gekostet. Ihr kopiert alles nur noch, klick! Dann zahlst Du lächerliche 30 €? Auf meine Kosten?“
„Das sind nicht Deine Kosten, liebe Cousine.“
„Nein, Mischkalkulation ist das neue Zauberwort dafür! Zu wenig zahlst Du und ich zahle zu viel. Ich fass es nicht. Du zahlst nur 30 € für die erste Klasse! Das ist sogar verramschen auf meine Kosten. Weißt Du welche Annehmlichkeit ich für nur 30 € mehr bekommen hätte?“
„Sunny, genieße die Fahrt, dass ich mit Dir fahre. Draußen das herrliche Rheintal. Extra Urlaub habe ich mir genommen. Das kostet mich nur mein Geld, nicht Deins.“
„Es geht um Deinen heißen Preis, 30 €. Dafür hätte ich diese dämliche Zugbindung nicht auf mich nehmen müssen. Ich bin die Gelackmeierte. 30 € Mehrkosten wollte ich für die freie Zugauswahl sparen, das auch nur, weil ich sparen muss. Nun zahle ich viel mehr als Du.
Dafür habe ich sogar meine Wahlfreiheit aufgegeben, alles nur, weil ich mit dem Cent rechnen muss.“
„Sunny, hör auf! Dafür kann ich nun am wenigsten.“
Anderer Blickwinkel
„Dich bitte ich ja nur, mich wenigstens zu verstehen, was hier abläuft. So ein dickes Gehalt wie Du habe ich nicht. Dazu dieser Zwang, der Druck, nur feste Züge nehmen zu müssen. Das ist Stress pur, da ansonsten noch mehr Geld futsch ist. Das alles wegen, wie Du es nennst, Anreizen im Internet! Du Gutverdiener fährst zum Lachpreis, und ich mit deutschlandweit regulierter Rente, ich darf noch nicht einmal eine beliebige S-Bahn nehmen, ich die sogar vier mal mehr bezahlt hat? Was soll das? Eine Bahn, die alle paar Minuten am Bahnsteig vorfährt, wenn ich zeitiger vor Ort bin, in diese, nicht auf dem Fahrschein stehende S-Bahn, darf ich nicht einsteigen? Obwohl, bei meiner Behinderung wäre das ein Segen. Ja, dann hätte ich mehr Zeit zum Umsteigen.“
„Sei doch froh, dass die Rente deutschlandweit fest reguliert ist.“
„Froh? Kurti, bist Du noch auf der Höhe der Zeit?“
„Ja, und wie ich das bin. Der Preis meines Tickets ist heiß!“
„Dann findest Du es also in Ordnung, dass ich für die gleiche Rente im Süden oder in Großstädten weniger dafür einkaufen kann? Meine Preise, d.h. mein Geld, meine Rente ist nur für kalte
Preise geeignet, es wird damit indirekt meine Kaufkraft reguliert. Ich kann nur so viel kaufen, wie die Kaufkraft jeweils in Süd
oder Nord hergibt.“
„Dann kauf im Internet! Nord und Süd, dort ist alles einheitlich billig. Machen alle so. Besorg Dir eine Kreditkarte!“
„Dafür bin ich nicht mehr schnell genug. Du betrachtest alles nur aus Deinem Blickwinkel.“
Er ärgert sich, weil Sunny stur mit ihm debattieren will. Sie will ihm penetrant vorwerfen, dass sie eine überteuerte Fahrkarte indirekt mit bezahlen musste, obwohl sie selbst viel mehr Mühen auf sich nahm. Sie fühlt sich für Ihre Anstrengung benachteiligt. Schlimmer noch, weil sie plötzlich ins Krankenhaus muss, ist der Fahrkartenpreis vom Anbieter wegen des kurzen Termins teurer als bei einer langfristigen Planung. Das weiß doch inzwischen jeder. Nur Sunny will das nicht einsehen und sagt zuletzt sogar: „Solch ein heißer Preis ist nicht sozial.“
Kurti weiß: „Gewinn heißt die Maxime. Das muss auch Sunny endlich mal begreifen.“
Sunny meldet sich erneut zu Wort: „Wie ist das heutzutage bei plötzlichen Familienereignissen? Nach Mallorca hätte ich für 24 € hin fliegen können. Weil ich plötzlich in Deutschland reisen muss, ist es teuer. Sind diese Tickets, wie das jetzt heißt, dann immer so viel teurer? Wahrscheinlich. Deshalb setzt Ihr Euch fix in solchen Fällen, wenn etwas unplanmäßig kommt, lieber schnell ins Auto, nicht wahr?“, erregte sie sich so sehr, dass sie unter vollem Körpereinsatz mit Händen und Füßen herum fuchtelte. Ihre Wut, ihr roter Kopf, ihre sonst sehr leise Stimme kippte, kreischte fast. „Ich reiße mir den Allerwertesten auf und Du machst klick, klick, da!“ schloß sie ihren Wutanfall und schlief vor Erschöpfung ein.
Aus einer anfänglichen gut gelaunten Sunny, wurde nach sechs Stunden Bahnfahrt eine grantige mieß gelaunte Klinikpatienten. Sunny muss reisen. Sie muss ihre Augen scharf stellen lassen, wie sie es ausdrückt. Trotz vieler Erklärungen, dass der Fahrkartenkauf im Internet nun mal billiger ist, konnte Kurti seine Cousine Sunny bis zuletzt nicht überzeugen.
Na, ja, bei kurzfristiger Reisebuchung hat auch das Internet seinen gesunden Preis. Nun, seine Laune ist durch diese Preisdebatten auch auf dem Tiefpunkt gelandet. Ziemlich mißgelaunt steuert er nun sein im Internet, sehr preiswert gebuchtes Hotel an, das mit dem heißen Preis.
Günstige Tickets nur noch für Planer, Fitte, Schnelle im Internet?
Ihre Worte beschäftigen ihn. „Unfaires Verhalten wird gefördert. Du bist mit einer von diesen, die sich kritiklos verplanen lassen. Hauptsache sauber, schnell und billig.“ Unfaires Verhalten hat sie ihm zuletzt vorgeworfen. „Ich verzichte extra auf den Luxus der Nicht-Zugbindung, denn das hätte mich zirka 30 € mehr gekostet. Viel Geld für mich. Und Du, Du klickst nur, puff, peng,Ticket da! Dein Billigticket kannst Du sogar selbst ausdrucken. Soll ich mir dafür extra einen Drucker kaufen? Bin ich deren Angestellte? Für den Preis, meinen Verzicht auf freie Zugbindung, 30 € Aufschlag wären das gewesen, dafür, für nur 30 € hast Du die gleiche Fahrkarte wie ich? Nur meine ist fast vier mal teurer als Deine. Da soll ich nicht wütend werden?“, war ihr letzter Satz, bevor sie erschöpft schwieg und einschlief. Die Anreiztaktik konnte er ihr sachlich nicht mehr erklären.
„Ich bin unfair? Welch eine Frechheit. Sunny ist wohl nicht auf der Höhe der Zeit,“ beruhigt er sich selbst. Seine Zweifel verfliegen kurz und erfreut ruft er aus:„Oh, da ist ein schöner Brunnen, und dort noch einer.“
Kurti’s gute Laune kehrt zurück. Er freut sich über die Schönheiten der Altstadt. Gedanklich sagt er zu sich: „Dann hat sich meine Reise wenigstens für ein paar Brunnenfotos gelohnt. Na, ja, sie wird sich beruhigen. Oder hat sie vielleicht doch ein wenig recht?“, melden sich bei ihm erneut Zweifel an. „Menschen mit Handicap, die selbständig bleiben wollen, werden preislich benachteiligt, sofern sie keinen Schwerbehindertenausweis haben. Und, was machen der oder diejenige, die von Natur aus sowieso in allem einfach nur langsamer sind, langsamer aus den verschiedensten Gründen, langsamer in allem? Wenn sie nicht in Normen vorgesehen sind?Dafür gibt’s keinen Schwerbehindertenausweis.
Aber, sie hat noch einiges mehr in Frage gestellt. „Besonders ließ sie ihre Wut über die Intransparenz der Preise, den Druck und die Benachteiligung für spontan Reisende an mir aus. Ich musste mich rechtfertigen, weil ich das System verteidigte? Ja, warum verteidige ich es eigentlich? Ich bin auch nur Kunde. Hat Sunny vielleicht doch teilweise recht? Diese Achterbahn der Preise. Sie kann zwar nerven, aber muss sie sich deshalb so aufregen? Was macht sie erst, wenn auch Einzelhändler Tag- und Nachtpreise einführen? Das wird dann richtig aufregend.“
Anreize, wo bleibt dabei die Inklusion, oder einfach gefragt, wo bleibt die Wahlfreiheit bei gleich günstigen Angeboten gegenüber dem Internet?
Seine Gedanken kreisen deshalb wieder um Fragen, wie diese: „Warum Fahrkarten und viele andere Sachen im Internet um so vieles billiger sein können als im stationären Handel? Warum diese Anreize so viel größer sein können?“
All das ist auch ihm selbst durch intensives Nachdenken nur ansatzweise klar, und er fragt sich jetzt sogar: „Geht der Service deshalb flöten? Wollen wir Service nicht? Arbeitsplätze werden dadurch eingestampft? Service Angebote reduzieren sich deshalb? Outsourcing bei Betrieben wird gefeiert, und im Privaten passiert das Gegenteil? Do IT Yourself? Alles selber machen, damit alles billiger wird? Unsere private Zeit, unser privates Kapital angezapft? Unsere Erholungszeit, das geht schleichend den Bach runter? Wohin? Warum? Mit welchem Sinn? “ Und dann ihre ständige Aussage:
„Verschlankte Wirtschaft, verschlankt unser Leben. So ins Extrem getrieben, werden wir ansonsten zu seelischen Hungerharken verkümmern. Wie verplempern unsere Zeit damit, dass wir nur noch den billigsten Preisen hinterher jagen. Energieverschwendung unserer körpereigenen, menschlichen Ressourcen ist das. Zum Raubbau an unserer Gesundheit, an der seelischen Gesundheit kann das führen. Kurti nimm Dir Zeit! Es gibt so viel Schönes zu entdecken.“
„Kapiere sie, wer will. Ich werde meine Urlaubstage nutzen. Die schönen Sehenswürdigkeiten lasse ich auf mich wirken, den Dom, den Rhein, die liebevoll erhaltenen Gassen mit ihrem Kopfsteinpflaster. Toll!“ Sunny Gedanken ereilen ihn dennoch, sogar im Museum.
„Und was meint sie bloß damit,“ fragt er sich unverhofft, „ich verteidige wie in Kindertagen nur das Lego Prinzip. Glatt, sauber, schnell! Schnell wird langweilig! Paß auf, dass Du nicht ausrutschst auf dem heißen Eis.“
Kritisch überprüft er ihren Spruch. Denn, das Eis ist nicht heiß. Es kann schmelzen, rutschig werden. Kurti kommt zum Ergebnis, dass das Quatsch ist, und fragt sich sogar, ob das erste Anzeichen von Senilität sind? „Oder könnte sie etwas anderes damit gemeint haben? Aber, was?“
Gedankenverloren entstehen mehrere Brunnenfotos, neue und dekorativ alte verzierte Bauten, an denen wir an kälteren Tagen bald achtlos vorüberziehen werden.
Jetzt, an warmen Tagen, bei vielen Begegnungen, Diskussionen fragt Kurti nun jeden, der sich auf seine Diskussionsansätze einlässt: „Mit welcher Begründung sind Produkte im Internet so viel preiswerter? Sind sie nachhaltig? Kennt jemand die wirklich richtige nachvollziehbare Erklärung?“ In erstaunte Gesichter guckt er und erhält fast immer die Antwort: „Selbstverständlich ist es im Internet billiger. Was fragst Du? Probier es!“
Kurti liebt Erinnerungen und will lieber fotografieren, als über Sunny nachdenken. Er kennt keine gute Antwort im Sunny Konflikt. Sunny, sie wollte ihm als Szenario das allgemeine gesellschaftliche Wegschmelzen verbildlichen. „Das sagte sie jedenfalls. Soziale Kälte.“, und meinte sie einfach, es braucht nur genug Hitze und alles schmilzt weg? Ihre Warnung: „Rutsch nicht aus auf dem heißen Eis!“, heißt einfach, mach nicht zu viele Hitze, Reibung?““
Ein eventueller Sinn erschließt sich ihm nur mit enorm viel Phantasie, und dann auch nur unzureichend. Er erinnert sich. Immer in Verbindung mit zu viel ungehinderter Schnelligkeit, Hektik, Rasantheit, Überdrehtheit, Regellosigkeit, verglich sie dann alles: Endlich glatt, sauber, schnell, oft mit einer heiß gedrehten Schraube. „Alles schmilzt!“ frötzelte sie dann verschmitzt. Typisch Sunny mit diesem, ihrem Standardspruch, und ihren krausen Gedanken, die sie auf die Spitze trieb mit: „Glatt, sauber, schnell!““
„Abschalten und fotografieren.“, das nimmt er sich vor. Er sucht dekorative alte Brunnen. „Schade, dass ich keine Postkarten mehr mit diesen Motiven erhalte,“ denkt er sich. „Wer schickt heute noch Postkarten?“, bedauert er manche Entwicklung. „Ich würde mich über Fotos historischer Brunnen freuen. Wer schickt mir welche? Heute wird glatt, sauber, schnell gebaut. So sehen auch viele neue Brunnen aus, klare Linienführung. Es sind oft nur noch einfach angehäufte oder gestaltet angeordnete Steinberge, über die ideenschmal Wasser geleitet wird. Die neuesten architektonischen Leistungen sind Wasserfontänen, die direkt aus dem Erdreich sprudeln, fast wie bei einem Wasserrohrbruch, ohne jeglichen Schnick Schnack: Glatt, sauber, schnell!“
Wir veröffentlichen Ihr kreatives Werk!
Senden Sie dazu Ihre Arbeit an info@potpourri-see.de
Hier ist Ihre Chance!
Nutzen Sie diese Bühne für Ihre Präsentation!
Teilen Sie! Ihr selbst gefertigtes Werk, hier als Foto!
Es ist möglich.
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