Langenfeld
Bauboom, schleichende Ankündigung
So, wie zwei Stadtteile Reusrath und Richrath an dem langen Feld sich einst zur Namensfindung orientierten, indem sie einfach sagten am langen Feld, also kurz Langenfeld, genau so suchte auch ich dort nach äußerer Orientierung. Ich fand sie nahe des heutigen Kreisels Düsseldorfer Straße, Ecke Theodor Heuss Straße. Wie dunkelgrüne Leuchttürme ragten sie stolz in den Himmel. Ab Mitte 1980 wurden diese drei grünen Koniferen mein orientierender Ankerpunkt. Weithin waren sie schön und gut sichtbar zu sehen.
Vor einem unscheinbaren Haus an der Düsseldorfer Straße standen die damals entdeckten Anhaltspunkte. Sie standen an der Bundesstraße, der bekannten B 8 zwischen Düsseldorf und Köln. Für viele Langenfelder ist sie historisch mit ihrer langen Geschichte als ursprüngliche Post Verbindungsstraße bekannt. Der Standort hätte nicht besser gewählt werden können, für einen markanten Wegweiser ins Langenfelder Zentrum.
Dort, auf der Westseite, markierte ein unscheinbares Haus das Ende der Häuserreihe. Ohne jeglichen Schnick Schnack fiel es mit seiner tristen verwitterten hellgrau verstaubten Fassade durch die grünen Bio Säulen vor dem Hauseingang auf. Sie waren ein Hingucker, jedenfalls für uns Nicht-Langenfelder. Aus Düsseldorf kommend endete mit diesem Haus die Bebauung an der damaligen B 8, kurz vor dem „Berghausener Blumentopf“, einer altbekannten Gärtnerei. Dahinter erstreckten sich Felder und Wiesen.
Kam man auf der B 8 entgegengesetzt von Süden her, dann sah man auf der Wetstseite zuerst die Spargelfelder des Bauern Boosmann. Auf ihnen gastierte manchmal ein kleiner Zirkus in der kälteren Jahreszeit. Auf halber Strecke seiner Felder stand an einem unbefestigten Feldweg ein Hinweisschild zur Gärtnerei, die sich hinter hohem Gras versteckte, jedoch bequem auch mit dem Auto oder Fahrrad erreichbar war. Waren Mann/Frau zu Fuß unterwegs, befand man sich, durch die Pflanzen schnell abgeschirmt vom Straßentreiben, in einem kleinen Naturidyll. Fast gegenüber der zentralen Bachstraße befand sich fußläufig eine Erholungslandschaft. Es war dort wie auf einer großen grünen Oase, inmitten der Stadt.
Vorbeifahren! Augenblick Richtung Westseite gucken! Freier halbrunder Fernblick! Es war jedesmal eine Augenweide für die Sinne! Hier breitete sich westlich, weit ausladend die naturbelassene andschaft aus, mit dem dahinter liegenden Wasserskigebiet und dem noch weiter entfernt vorbei fließenden Rhein der Stadt Monheim, zwischen Düsseldorf und Köln. Durch Licht und Schatten veränderten sich die Impressionen. Stets beeinflußt durch Wetter, Jahres- und Tageszeiten gab’s andere stimmungsvolle Bilder, bestimmt durch das Licht des weithin sichtbaren Himmels. Fast unendliche Ferne. Ein Urlaub für’s Auge. Es war ein kurzer Augenblick, nur für Sekunden, aber mit einer großen befreienden, erfreulichen Wirkungsintensität auf die Tagesstimmung. Ruck zuck brachte das einen von der Hektik herunter. Ruhe von Sekunden! Ob Sonnenuntergänge, Wolkenbilder oder Regenbögen, es gab an diesem Platz fast immer etwas Neues auf der Kinoleinwand der Natur zu sehen, sofern man hinguckte und den Blick von der grauen eintönigen Asphaltdecke gen Rheinrichtung hob.
Fest verankert standen damals diese vorhin genannten drei noch klein heranwachsenden Koniferen im grünen Saft, als freundlicher, unaufdringlicher Wegweiser, oder als stummer Mahner an der B 8. Sie verankerten sich unbewußt als fester Orientierungspunkt ins Gedächtnis, als ich mich mit dem Auto an dieser Stelle verfuhr. Zu dieser Zeit kannte ich Langenfeld bloß wie einen blinden Fleck. Mein Lebensmittelpunkt spielte sich bis dahin vorwiegend in und um Düsseldorf ab, gelegentlich auch mal in Hilden.
Dieses Mal durfte ich die Einfahrt der Theodor Heuss Straße auf keinen Fall verpassen, sagte ich zwar zu mir, aber irgend etwas lenkte ab. Mit Richtung Solingen, auch als B 229 bekannt, war die östliche linke Einfahrt zum Zentrum Langenfeld allerdings nur eine von mehreren Abbiegungsmöglichkeiten. Ich kannte damals nur diese eine als die Richtige. Pech! Denn trotz vorherigen Straßenstudiums, um 1980 noch im allgemein bekannten Falk-Straßen-Kartenplan, passierte es. Ausgerechnet dann, als die Zeit drängte, als ich pünktlich eines Morgens meine Mutter zum Kardiologen bringen mußte. Prompt müßte ich an der nächsten Kreuzung wenden. Ärgerlich, denn jede Minute war kostbar.
Zweites Pech! Denn diese Panne wiederholte sich kurze Zeit danach noch einmal. Eine Straße zu spät bogen wir ab, in die Bachstraße. Zu Fuß überquerten wir unbebauten Matsch, dann gingen wir an neuen Backstein Hausfassaden vorbei, auf dem Lilienthalweg, entlang am Friedhof, hin zur Marktstraße. Von dort aus erreichten wir durch einen ungemütlichen schmalen Hausddurchgang plötzlich eine sehr belebte Fußgängerstraße mit unerwartet, fast festlichem Treiben. Marktstände, Luftballons, bunte Plakate zeigten an, irgendetwas wurde gefeiert. Im Nachhinein betrachtet, könnte es die Eröffnung der Stadtgalerie gewesen sein. Endlich fanden wir schnellen Schrittes, so gut es ging, auch die gesuchte Arztpraxis .
Das Wartezimmer war voll. Die Wartezeit zog sich hin. Also vertrieben wir uns die Wartezeit auf dem sich vor der Haustür abspielenden florierenden, bunt gewürfelten Markt. Wir kauften, frisches Obst. Ich holte mir eine weiße Sommerbluse, in unerwartet guter Qualität, denn sie begleitete mich mit angenehmen Tragekomfort an heißen Tagen länger als nur eine Saison. Heute würde man dazu sagen, es war eine nachhaltige Qualität, obwohl sie einen vorwiegenden Anteil Kunstseide besaß. Der Schnitt, ihre Paßform, ihr Tragekomfort und ihre schlichte, elegante Klassik, ihre glänzenden eleganten unaufdringlichen Muster Ton in Ton, ließ sie zu unendlich vielem gut kombinieren, weil sie stets andere Akzente setzte.
Auf der Rückfahrt prägten wir uns sehr konzentriert einen Orientierungspunkt für diese Abzweigung ein. Meine Mutter und ich verankerte unsere Orientierung an dem letzten Haus westlich der B 8. Damit entstand von nun an unser geplanter Ankerpunkt für Langenfeld. Es war dieser Tag, an dem wir auf der zweiten Rückfahrt erneut reflektierten, warum wir wohl die eigentlich nicht zu verfehlende direkte Abzweigung Richtung Langenfeld verpassen konnten? Während ich noch das letzte Haus in den Vordergrund unserer Diskussion rückte, brachte meine Mutter einen anderen Orientierungspunkt in die Diskussion mit hinein. „Das müssen die Koniferen kurz vor der Kreuzung auf der B 8 gewesen sein. Sie verdecken das letzte Haus, wenn wir aus Düsseldorf kommen. Sie verstecken es“, meinte meine Mutter, die zu dieser Zeit allmählich erblindete.
Sie war es von da an, die mich jetzt bei Arztfahrten stets rechtzeitig erinnerte:„ Vergiß nicht! Gleich musst Du abbiegen. Da vorne stehen die drei hohen Koniferen“. Es war ihr scheinbar immer eine Freude, an den Umrissen der Koniferensäulen ihre Rest-Sehkraft auszutesten. Das war ihr persönlicher Sehtest, dort an den drei Koniferen, an der westlichen Bebauungsgrenze der B 8.
Irgendwann brachen die Arztfahrten genauso ab wie die Besuche in Langenfeld. Sie verstarb.
Hier könnte meine Geschichte zum persönlichen Ankerpunkt in Langenfeld enden, doch für mich fing sie nach längerer Pause erst richtig an. Nachdem nun die Annehmlichkeiten des lebendigen Langenfelds kennengelernt worden waren, zog es mich immer wieder für Besorgungen dorthin, und Erinnerungen wurden wach.
Über die B 8, ruck zuck, in nur 10 Minuten wurde Langenfeld mein wöchentliches Markterlebnis. Manchmal auch zwei mal wöchentlich, und nach und nach gewannen auch die schnuckligen inhabergeführten Geschäfte, mit gelegentlichen Karstadt Besuchen, für mich zunehmend an Bedeutung. Das für mich emotional positiv besetzte Langenfeld war ein leicht erreichbarer guter Ort, neben guten Angeboten in Düsseldorf-Benrath und Monheim. Auch mit dem damaligen kostenfreien Parken lockte diese Kleinstadt, und seinem gut sortierten Angebot. Alles war auf ziemlich kurz erreichbarer Fläche fußläufig bequem erreichbar. Das erleichterte die Schlepperei voller Einkaufstaschen erheblich. Auf angenehm kurzen Wegen war alles schnell im Auto verstaut. Zurück zum entspannten Verweilen ohne Zeitdruck, das hatte ein Hauch entspannter Lebensqualität. Und dauerte es länger, so waren die Parkgebühren immer noch moderat, im Verhältnis zu den anderen dicht angrenzenden Großstädten Düsseldorf und Köln.
Die erste der einst für mich signalgebenden, gesunden tiefgrünen, inzwischen über zwei Meter hohen Koniferen, die alles andere als den Eindruck eines Wackelkandidaten machte, verschwand. Noch viele Jahre hätte sie, es war ein schöner Anblick, sogar mit neuer Ersatzpflanzung am angestammten Standort stehen bleiben können. Wenn sie eine Chance bekommen hätte, hätte sie als Augenweide noch viele Jahre Menschen erfreuen können, fast wie ein grüner Leuchtturm. Doch weg, war weg. Langsam, über fast 20 Jahre gewachsen, wurde sie auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit sang- und klanglos entsorgt. Gesundes wurde über Nacht zu Abfall. Der Täter war wohl eine Säge. Ende der 1990er Jahre registrierte ich das Fällen dieser Konifere, noch mit Achselzucken und einem lapidaren: Schade drum!
Denn damals noch unbemerkt, griffen Architekten beziehungsweise Immobilienentwickler in das langsam organisch Gewachsene, sanfter ein als später. Mit inzwischen immer schnelleren und rigoros verändernden Maßnahmen, unübersehbaren Bauvergrößerungen veränderten sich Häuserzeilen. Derzeit, 2018 geschieht das ungewohnt schnell. Natur geht verloren. Gegen Bebauung ist Grund und Boden in Städten selten geschützt. Erholungswert durch Natur hat offensichtlich einen geringen Stellenwert.
Abriß statt Sanierung
Ab 1998 nahm ich Abriß und Neubauten verstärkter wahr, so wie das allmähliche Verschwinden der drei Koniferen an der B 8. Ich glaube, damals bahnten sich erste Fällungen aber noch nicht an. Das kam später, sagt meine Erinnerung. Es gibt dazu Fotos der Hauseigentümerin. Bereits beim Fällen der ersten Konifere empfand ich danach an ihrem Platz eine gähnende Leere, wenn ich zwangsläufig den Weg über die geradlinige Schnellstraße nahm. Das änderte sich, wie spätere Fotos der Hauseigentümerin belegen. Es wurde an diesem Platz noch leerer. Betriebsamkeit kündete sich auf leisen Sohlen an.
Viel beschaulicher dagegen präsentierte sich um 2010 herum eine gute Performance im Kunsthaus Wiescheid an. Märchen wurden dargestellt. Es war eine ganztägige Veranstaltung mit verkleideten Künstlern, z.B. als Harlekin, Zwerg und anderen Märchenfiguren. Sie verstellten einem den Weg, trugen ein Gedicht oder einen kurzen Text vor. Verschiedene altehrwürdige Gartenplätze verwandelten sie in einen Märchenort. Wildromantisch fügte sich das Geschehen passend ein, in diese über Jahre naturnah gestalteten Gartenanlage. Die dortigen künstlerischen spontanen Darbietungen und musikalischen Einlagen bleiben unvergessen, auch weil das Ereignis bei schönstem Bilderbuchwetter statt fand. Es war ein rundherum ausgefallenes, einmaliges lebendiges Sommer Kunsterlebnis einer ganz besonderen Art. Die Kulisse der alten groß gewachsenen und knorrigen schattenspendenden Bäume, ergänzten den Theaterrahmenn wunderbar. Das lebendige Gesamtkunstwerk kitzelte für einen Nachmittag den Zauber eines neu kreierten modernen Kunstmärchens heraus. Dieser Garten, seine Düfte der Sommerblumen, Rosen, das Rascheln der Baumwipfel und seine Gartenarchitektur bleiben eine beeindruckend gelungene, unvergessene Natur-Kunst-Inspiration, die ich danach vergebens dort oder woanders suchte, denn sie wäre wiederholungswürdig gewesen. In dem beschriebenen Garten ist das nun nicht mehr möglich. Die Nutzungsverhältnisse haben sich geändert, sie sind jetzt wirtschaftlicher ausgerichtet.
Seit Anfang 2000 war Baumberg mein neuer Wohnsitz. Das naheliegende praktische Einkaufsstädtchen Langenfeld rückte seitdem näher, das nur einen Katzensprung von Monheim entfernt war. So gewann der Langenfelder Radius über Jahre größere Bedeutung, vor allem durch familiäre Bindungen. Fachärzte wurden vor Ort neu gewählt. Familienereignisse, Geburtstage, Treffen und grillen im Stadtpark bis hin zur Hochzeit, Hausbau, einer familiären Beerdigung und anschließendem Familientreffen im Haus Lohmann, das von vielen als ein Kleinod wahrgenommen wurde, alles passierte in Langenfeld. Zusammen genommen erhöhte das meinen persönlichen Bezug zu Langenfeld.
Besondere Bindung bekam ich zusätzlich durch die Firmengründung meiner Tochter. Sie war immer auf einen hohen Qualitätsstandard bedacht, also fügte sich Richrath als Standort in ihr Konzept ihres Grafikstudios Feyerabend in Langenfeld (jetzt auch am Bodensee) gut ein, das sich inzwischen zu einer guten Anlaufadresse für Kunden entwickelt hat (Bücher Autobiographien, Kochbücher, Werbung, Dauerkalender, usw.). Dort vergrößerte sie alsbald ihr Angebot zusätzlich noch mit Ihrer Verlagsgründung Stephanie Feyerabend, spezialisiert auf Autobiografien und entwickelt sich weiter, mit ihrem inzwischen zweiten Standort am Bodensee. Mehr und mehr spezialisierte sie sich als Medientechnikerin von Firmenwerbung, sowie Präsentations Displays, nun über das Verlegen von Büchern, Katalogen auch als grafischer Dienstleister für deutschlandweite Bestattungsunternehmen. Sie übernahm ein Düsseldorfer Grafik Unternehmen als Nachfolgerin. Von Langenfeld aus weitet sich ihr Radius nunmehr über ganz Deutschland aus. So war es wahrscheinlich nur eine Frage der der Zeit, als sie sich auch bei den Langenfelder Fachwerkfrauen engagierte.
Privat entwickelte sich bei mir dagegen mein kleines Netzwerk von Freunden wie von selbst. Es war so,wie das jeder aus seinem eigenen Privatbereich kennt. Bekannte, Freunde, sogar über städtische Angebote wie VHS, Kulturmuseum oder musikalische Veranstaltungen, mit ihren schönen Momenten, alles zusammen verortete und verankerte mehr und mehr den Bezug zum neuen Lebensraum. Dazu zählen weitreichende Spaziergänge in die erholsame, noch von Landwirtschaft geprägte nähere Umgebung. Auf der westliche Seite, bereits in Monheim am Rhein, bietet es Erholung am Wasser. Richtung Süden die wilde an Wupper, Dhünn Talsperre, und auf der anderen Seite gen Westen erstreckt sich bereits das weite bergische Land.
Dieser naturnahe Mix des Lebensumfeldes, umrahmt das tägliche Einerlei fast perfekt, mit seinen hervorzuhebenden relativ kurzen Wegen zu den Erholungsoasen. Rasch zurück ins Stadtzentrum erkennt man auch dort immer noch einen guten Stellenwert für individuelle Naturlandschaft. Dagegen ähneln sich im Konsumangebot die nahen Kleinstädte stets mehr durch das Sterben der kleineren Inhabergeführten Geschäfte. Gleichförmige Ladenketten vereinheitlichen das Stadtbild von Nord nach Süd. Einen gewissen Wohlfühlcharakter halten rundherum Soziales, Kultur aufrecht und die Natur hält es wie ein grünes Band rundherum zusammen.
So schleichend wie Langenfeld mich mehr und mehr in seinen Bann zog, zottelte es bereits am anderen Ende mit seinem Bauwahn. Das heißt, fast zeitgleich begann sich dieser inzwischen vertrautere Ort schon wieder verstörend aufzulösen. Noch bevor ich ihn genauer erkundete. Es verflüchtigte sich einiges. So schnell konnte ich vieles Neue nicht dauerhaft registrieren. Die Stadt war schuldenfrei. Geld konnte investiert werden. Das Stadtbild änderte sich in einem immer höheren Tempo.
Dieser Veränderungsprozess ist, im Nachhinein betrachtet, auch das Interessante, denn überall im Stadtbild fielen lieb gewordene Ansichten der Abrissbirne zum Opfer. Sanfte An- oder Umbauten wurden seltener. Zuerst fiel mir das in der Karlstraße und in der Bachstraße auf. Auch in anderen Seitenstraßen, mit ihren geschichtsträchtigen Fassaden gab es plötzlich komplette Nachfolgebauten in größerer Dimension. Für mich war die Bachstraße der Vorreiter der neuen Entwicklung. Auffallend kastenförmig, modern, wuchs die neue Architektur empor. Mit nun sachbezogenen höheren, größeren ausdrucksloseren Fassaden, die eher einem Bauklotz als dem eines gewohnten Einfamilienhauses mit Spitzdach ähnelten, überzog und überzieht diese neue Generation Häuser nun die Stadt. Gartenflächen werden überbaut. Gezählt habe ich in der zentrumsnahen Bachstraße in den letzten Jahren gesamt sechs Objekte. Moderne Innenraum Technik fasziniert natürlich modernes wohnen und verdrängt Altbauten. Derzeitige fast Null Prozent Zinsen und stetig steigende Mieteinnahmen verlocken schnell neu zu bauen. Vielleicht ist es außerdem die Kapitalisierung von Grund und Boden, die Radikallösungen mit der Tendenz begünstigen, lieber direkt neu bauen, als erst mühsam sanieren. Die Renditeversprechen bei Umwandlung in Eigentumswohnungen scheinen offensichtlich auch überzeugender zu wirken, als weiterhin den eigenen Garten des umgebenden Einfamilienhauses zu genießen. Bequemlichkeit, wenig körperliche Arbeit, das entspricht dem Zeitgeist. Für den einen bedeutet Garten bloße Arbeit, während der andere sie vielleicht als seine neuen Nuggets erkennt? Oder warum verkleinern sich Gartenflächen? Oder warum werden Vorgärten immer öfter versiegelt? Fitnessstudios dagegen, so scheint es, sind beliebter!
Inmitten des Ortskern’s, an der vielbefahrenen Theodor Heuss Straße, wurde nach kurzer Bauzeit ein hohes Eckgebäude mit vielen Zimmern für ein Altenheim hochgezogen. Brachflächen, wo sie noch waren, wurden nach und nach bebaut. Die ehemaligen Familienhäuser mit Satteldach wurden durch Mehrstöckigkeit und rationaleren Grundrissen ersetzt. Dort, wo früher ein oder maximal zwei Familien wohnten, leben seit den Veränderungen nun vier, sechs oder mehr Familien auf gleicher Fläche. Insgesamt mehr Menschen fanden dadurch in der Stadt neuen Wohnraum, so dass ebenfalls der von Ihnen benötigte öffentliche Parkraum optimiert werden musste.
Der Neubau des Marktkarrees erhielt eine Tiefgarage, nach dem Muster der bereits vorhandenen Tiefgarage der Stadtgalerie, die bereits zirka in den 90er Jahren entstand. Gegenüber des Friedhofs, nahe der Stadtgalerie, wurde um 2010 oberirdisch mit einem Parkhochhaus Parkraum für PKW’s geschaffen. Bisherige Parkflächen wurden optimiert und sanft verlagert, so dass auf dem Marktzentrum die oberirdischen, bequem erreichbaren Parkflächen danach ersatzlos weg fielen. Der Marktplatz wurde nach dieser Entscheidung großflächig gepflastert, für’s Auge verschönert.
Langenfeld kann sich im Schatten naher Großstädte immer selbstbewußter sonnen. Fast intim wirkt dagegen noch der attraktiv neu gestaltete Marktplatz mit seinen relativ niedrig gebliebenen Backsteinhäusern. Seine vorausschauend angelegte vielfältige Mehrfachnutzung läßt den Gedanken aufkommen: Hier bin ich Mensch, hier will ich sein, frei nach Goethe. In den Sommer Schulferien erfreuen wöchentliche kostenfreie Musikveranstaltungen jeweils Mittwoch Abend die Erwachsenen. Tagsüber ist er mit seinen zeitweise Wasser sprudelnden Fontänchen ein erfrischender Hingucker, der alle zum planschen einlädt. Zum Verweilen lädt er mit seinen Ruheinseln, Bänken und den umrahmenden schattenspendenden, sehr niedrig gezüchteten wachsenden Bäumen ein, mit darunter teilweise bunt arrangierten Blumeninseln. Wie der Einzelhandel bekanntermaßen zunehmend mit der Verpackung trickst, um zu locken, so wird sogar hier der Inhalt von Natur leicht verändert. Baumhöhen werden städtisch zweckmäßig niedrig gezüchtet. Das fällt zwar kaum jemanden auf, wirkt sich auf den innerstädtischen Klimahaushalt verändern aus. Erst beim zweiten Blick bemerkt man, früher waren die Straßenbäume in der Regel höher. Eine Generation später, wird kein Vergleich mehr statt finden können. Weniger Grün, mehr Häusermauern, das wird immer normaler. Zu der moderne Architektur, die sich in vielen Großstädten wie große Kopien gleichförmig wiederholt, gehören freundlich neuzeitlich geprägte Stadtbilder mit ihren fast einheitlichen Fußgängerbereichen. Damit sie nicht zu eintönig wirken, hängen in Langenfeld Blumenampeln an den Straßenlaternen. Fleißige Gießtrupps pflegen sie wöchentlich einmal. Bei der Hitze im Juli 2018 müssen sie jetzt öfter als einmal wöchentlich das kostbare Nass verteilen.
Nachbarstädte ziehen ebenfalls nach und sorgen für mehr Attraktivität, jedoch meist auf der Konsumebene. Das Einkaufseldorado verdichtete sich regional übergreifend. Mit neuen größeren Konsumflächen lockte auch die Nachbarstadt Monheim, zeitgleich im Wettbewerb zu den derzeit rasant aufstrebenden riesigen Internetshops. Wachstum allerorten! Diese kopierten, ursprünglich eigentlich nur die altbekannten Versandhäuser, machen jetzt etwas anders, durchschlagend aggressiver. Wahrscheinlich nur durch den Druck auf das Liefertempo. Extreme, dazu noch kostenfreie Lieferschnelligkeit kombiniert mit Preisdumping bringen den Durchbruch! Straßen mit Paketwagen verstopfen und der Einzelhandel vor Ort stirbt auf Raten. Das alte Versandhaus als Internet neu gedacht, befeuerte es das Konsumverhalten völlig neu. Das Belohnungssystem der Verbraucher für vermeintliche Schnäppchenangebote läuft heiß. Auch den Arbeitsmarkt mischte es auf. Prekäre Arbeitsverhältnisse entstanden im Paketwesen. Der Versand Lieferservice wuchs sprunghaft, während guter, personalintensiver Qualitätsservice im stationären Handel sich in preiswerte Selbstbedienung umorientierte und verfestigte, um durch geringeren Personaleibsatz, also auch weniger Qualität. ebenfalls Kosten zu senken um dem
Preiskampf des Internethandels Stand halten zu können.
Franchiseläden erobern frei gewordene Flächen, wenn diese groß genug sind. Sie bauen um, modernisieren, haben einen überdimensionalen Flächenverbrauch. Stereotype Ladenketten, wie gleichförmige Kopien besetzen also flink freiwerdende, verlassene Standorte. Sie schießen wie Pilze aus dem Boden, mal an der einen oder ein anderes mal an der anderen Ecke. Anfang der Jahrhundertwende wurden sie vielfach als attraktiv und interessant mit ihrem umfangreichen Warenangebot begrüßt. Mehr und mehr vereinheitlichen auch sie innen alles mit Wühltischen voller Billigwaren, meist aus Fernost. Qualität kann sich im stationären Handel weniger halten, so muss man vermuten, denn er wird seltener.
Wie in den ersten Aldi Filialen oder in einer hell beleuchteten, rein zweckbetonten sterilen ungemütlichen Lagerhalle, so fühle ich mich heutzutage bei manchen Ladenketten zurückversetzt. Doch während Aldi sich vom Discounter zur Supermarktausstattung hin qualitätsbewußt steigert, mit komfortableren Ladeneinrichtungen, Markenprodukten, so beschreiten Billigketten den umgekehrten, den absoluten Billigweg. Alles soll billig sein und so sieht es dann vielfach aus. Das Frösteln überkommt mich. Wo ist der ursprüngliche propagierte Trend geblieben, dass Einkaufen ein Erlebnis sein sollte? Aus Verkaufspersonal sind Regalauffüller oder Kassierer geworden. Fachpersonal fehlt in diesen neuzeitlichen Konsumtempeln. Fachliche Defizite sollen scheinbar mit immer längeren Öffnungszeiten kompensiert werden, bis 22 Uhr teilweise.
Inzwischen kann ich auch diese Veränderung durch lange Lebenserfahrung, Erlebnisse sehr gut mit den 50er Jahren vergleichen. Früher, als ich noch wöchentlich 42 Stunden arbeitete, hatten wir keine Problem Familien Einkäufe bis 18 Uhr oder Samstag bis 14 Uhr zu tätigen.
Es war lediglich eine Frage der eigenen Organisation, der eigenen Anpassung. Der Freiraum war dagegen streßfreier. Wie in der altbekannten Mengenlehre, es gab weniger Überschneidungen, weniger Störfaktoren, weniger Streß. Deshalb betrachte ich das heutige Konsumtreiben mit emotionalen Abstand kritisch bezogen auf den menschlichen Biorhythmus. Das soll jeder halten wie er will, sofern er sich der Zusammenhönge bewußt ist. Was macht ständige Konsumberieselung mit Menschen? Besonders dem heutigen Arbeitsdruck mit steigender Arbeitsverdichtung täte hier und da wahrscheinlich mehr Trennung von Arbeit und Freizeit gut. Das ist nicht zu verwechseln mit bloßem Konsum, es hat weitere Konsequenzen in alle Lebensbereiche hinein. Denn Konsum verknüpft, vermischt zunehmend Arbeits- und Freizeitwelt. Auch wenn wir uns heutzutage mit dem Durchschnittsgehalt zu den 60er Jahren dreimal so viel leisten können wie damals, braucht der Mensch die altbewährten längeren Ruhepausen, damit er im biologischen Gleichgewicht bleiben kann. Das sind allerdings nur reine, persönliche Erfahrungswerte. Doch, wie halten das Kassiererinnen aus, denke ich oft als Kunde, wenn ich von den Förderbändern die Lebensmittel einpacke, immer darauf bedacht, bewußt bis 18 Uhr Einkäufe zu erledigen. Nachhaltigkeit, das ist heutzutage ein großes Thema, dich dann verstehe ich so, dass auch menschliche Ressourcen endlich sind. Der Trend, ständig künstlich aufblähend Ressourcen anzuzapfen, mit dem ungehemmten Verbrauch, zum Beispiel von Energie mit längeren Ladenöffnungszeiten oder immer größeren Verkaufsflächen, entstehen für Kunden weitere Wegen zu Zentren. Wer um alle Welt braucht 20 Sorten Öl, 15 Sorten Essig, 10 Sorten Butter. Mehr verschiedene Märkte mit verschiedenen Angeboten, und kürzere Fußwege, das ist fußfreundlicher und damit nicht modern. Mehr dezentralisieren ist unmodern, weil das Internet zum Sofa liefert. Kürzere Wege regional wird eventuell erst modern, wie aus der Welt gefallene Kioske, wenn das Internet weiter wächst und die Straßen den Paketansturm nicht mehr bewältigen? Täglich sehe ich ein wachsende Menge Paketdienstleister und eine wachsende Menge leerstehenden Ladenlokale, nicht nur in Langenfeld.
Medial sekundenschnell, unbegrenzt erweiterte parallel der Internethandel ungehindert seinen rasanten Bekanntheitsgrad. Bequemes Bestellen vom Sofa und kostenloses schnelles Liefern in die Wohnung, veränderte zusätzlich die vor Ort Nachfrage, und Leerstände deuten Veränderungen an. Am 9. August 2018 beschäftigt sich auch die RP damit. Unter dem Titel: „Im Stadtzentrum stehen viele Läden leer,“ werden andrerseits bereits weitere Baumaßnahmen mit Läden angekündigt, z.B. sollen auf dem ehemaligen Baumarkt Böttcher an der Hauptstraße Wohnhäuser mit Ladenzeilen gebaut werden.
Traditionelle inhabergeführte Einzelhandelsgeschäfte, zum Bespiel ein Spielwarengeschäft an der Ganspohler Straße, ein feiner Herrenausstatter auf der Hauptstraße, Lebensmittel Otto Mess, 2017 ein weiteres Spielwarengeschäft auf der Hauptstraße gaben ihr Geschäft aus unterschiedlichsten Gründen auf, so hieß es offiziell.
Dem harten Verdrängungswettbewerb fiel u.a. Karstadt zum Opfer. Nach längerem Leerstand wurde das leere Gebäude baulich verändert und große Ladenketten zogen dort ein. Unerwartet stabil, gegen den Internet Trend, behaupten sich im Zentrum bis heute viele kleinere wechselnde Markthändler. Zweimal wöchentlich präsentieren sie Gemüse frisch vom Feld, Fisch und andere Lebensmittel aus der Region. Wie ein Fels in der Brandung preisen sie ihre örtlichen Produkte gegen alle Widrigkeiten dienstags und freitags an. Sie bildeten und bilden sichtbar noch das pulsierende Herz des Stadtzentrums.
Gefühlt betrachtet steigerte der ehemalige Bonus des kostenfreien Parken, für eine oder zwei Stunden einstmals den Langenfelder Handel. Die Einkaufslust bekam einen Anschub. Das war ein Vorteil gegenüber Nachbarstädten wie Düsseldorf und Köln. Dieser Vorteil währte ziemlich kurz. Ich glaube nur zwei Jahre. 2013 wurde freies Parken für lediglich 15 Minuten beibehalten. An der Kasse zum bezahlen muss man oft länger anstehen. Längeres Parken wurde gebührenpflichtig. Die unerbittliche Uhr wurde das Maß für die Einkaufsdauer, je nach Kassenlage des Verbrauchers und seinen Einnahmen. In einer Zeit, als sich der Begriff der prekären Arbeitsplätze fester einbürgerte, und der Internethandel einzog.
Langenfelder Unternehmerinnen schlossen sich als Fachwerkfrauen zusammen. Sie richten seitdem eine kleine Messe im Jahr aus. Mit dieser Präsentation öffnen sie sich der regionalen Öffentlichkeit. Einem breiten Publikum stellen sie dann Ihre Dienstleistungspalette vor mit Workshops, Vorträgen, Massagen. Sie bieten für fast jeden etwas Brauchbares aus der Region an. Neue Kontakte entstehen. Kosmetik, Ernährung, Coaching, Bücher, Kreatives und einiges mehr ist dann dort zu finden. Erstaunt hat mich bei dem guten Qualitätsangebot, die noch ausbaufähige Besucherzahl. Bei dieser geballten Qualität auf kleinem Raum von meistens Einzelinhaberinnen, bekannt als Soloselbstständige, ist noch Luft nach oben. Eine Vielfalt von Dienstleistungen Ortsansässiger für Ortsansässige. Ein scheinbar noch unbekanntes Projekt. Die regionalen Mitglieder treffen sich regelmäßige für hochkarätige Fachvorträge in geselliger Runde. Mit konkreter Fachkompetenz unterstützen sie sich gegenseitig. Es ist ein lebendiges Langenfelder Netzwerk, das in die Wirtschaftsförderung der Stadt eingebunden ist, soweit mir das richtig bekannt ist. Deshalb war ich überrascht, dass kaum einer aus meinem Umkreis dieses Projekt bisher kannte. Ja, noch nicht einmal Langenfelder Einzelhändler waren die Netzwerkerinnen ein Begriff. Das kann sich aber schnell ändern. Das Grafikstudio und der Verlag Stephanie Feyerabend, mit langjähriger Berufserfahrung, schätzt den Zusammenschluss bei den Fachwerkfrauen und bringt und holt dort immer immer noch Impulse zur regionalen Zusammenarbeit.
Fortlaufende Veränderungen charakterisieren die Stadtentwicklung. Restliche zwei hoch gewachsene Bäume an der B 8, waren längere Zeit ein grünes Symbol. Sie dokumentierten das unmerkliche Verschwinden, denn irgendwann waren auch sie weg. Die Axt war der Wegbereiter. Um 2015 verschwand letzter alter Baumbewuchs auch vor dem Haus an der Bebauungsgrenze der alten B 8, nahe der Einfahrt zum Langenfelder Zenrum.
Woanders, nämlich an der Fröbelstraße wird mal eben ein ganzer Schulkompex abgerissen und schon nach zwei Jahren steht auch dort ein großer moderner Neubau, geschätzt war das 2017.
Eine fast perfekte Auszeit in diesem steten Wandel bietet das beständig erscheinende Café Sticherling. Es lädt ein, einfach mal abzutauchen, kurz der Hektik des Alltags zu entfliehen und einfach kurz emotional aufzutanken oder such dort mit Freunden zu treffen. Streß und das aktuelle Zeitgeschehen einfach vergessen, das gelingt hier. Ein willkommener vertraut wirkender Ruhepol in rastloser Zeit.
Ich liebe diese seltener werdenden traditionellen Konditoreien, mit ihrem, vielleicht manchmal allzu leichtfertig als altbacken titulierten Ambiente. Sie bewahren aus diesem Grund meist ihren individuellen und unnachahmlichen, gemütlichen Charme, mit ihrer unverwechselbaren Geschichte. Immer wenn ich dort sitze, mit Blick auf den vorbei rauschenden Verkehr der Hauptstraße, ergreifen plötzlich auftauchende Gedanken, neudeutsch Flashs genannt, ungewollt meine grauen Zellen. Bei herrlicher Torte, noch ohne viel Chemie, und einer Tasse Kaffe entstehen gedankliche Bilder zur Stadt Erfurt in der ehemaligen DDR, und mir fällt blitzartig ein: „Ich habe mich schon lange nicht bei C. gemeldet. Wir wollten im Garten Stühle streichen. Was wohl I. aus Erfurt jetzt macht, die damals wegzogen, als Willi Brandt, als erster Bundeskanzler Erfurt besuchte und anderes Vergessene taucht plötzlich in der Erinnerung auf. Verschollene Verwandte in Thüringen, Sachsen, was sie wohl machen …“, so führt dort eigenständig das Kopfkino seine Regie, bloß angestoßen durch die Tatsache, dass Sticherling nach meiner Kenntnis vor dem Krieg in Erfurt beheimatet gewesen sein soll, ebenfalls dort als Café.
Meine eigenen Beziehungen, auch die der kriegsbedingt inzwischen in alle Winde verstreuten Verwandten, erhalten an dieser Ruheoase ungewollt eine ihrer letzten wohlverdienten kurzen ungestörten Erinnerungsmomente. Auch andere Anlaufpunkte in dieser Stadt, zum Bespiel Kaffeezeit oder das Kulturprogramm neben der VHS gelegen, sowie weitere Gastronomie und hier nicht aufgezähltes, vervollständigen das umfangreiche Freizeitangebot.
Fuhr ich zurück, vorbei an dem Platz der ehemaligen drei Koniferen, hatte ich dennoch erinnerlich mitunter wieder die Worte meiner Mutter im Ohr: „Da vorne sind die drei Koniferen“, doch real sah ich nichts mehr. Was kommt hier noch? Diese Gedanken waren neu für mich. Früher erfreute mich der Anblick des bekannten Stadtbildes, mit seinen Bäumen wie selbstverständlich. Das Selbstverständnis gab’s nicht mehr. Gedanken tauchten auf, wie lange noch? Jetzt beherrschte Skepsis und Unsicherheit dieses Umfeld mit Gedanken wie : „Wie lange sind hier noch Felder?“
Tatsächlich bahnte sich auf den damaligen großen Spargelfeldern eine Bautätigkeit an. geschätzt 2015. Diese Stadt mit seiner Sandwich Ortslage zwischen den Metropolen Köln und Düsseldorf schafft immer mehr Voraussetzungen für eine sich entwickelnde Großstadtatmosphäre. Einmal angedacht, setzt sich nun der großstädtischere Charakter sporadisch unmerklich an verschiedenen Plätzen fort , der inzwischen unübersehbar Realität geworden ist.
Städtebauliche Veränderung macht etwas mit einem, das merkte ich. Die verunsichernden Gedanken begleiteten mich immer häufiger an den unterschiedlichsten verändernden Nahbereichen. Ehemals vermeintliche Selbstverständlichkeiten wandelten sich zur allgegenwärtigen, nun bewußt wahrgenommenen Vergänglichkeit, in Unsicherheit um. Beständigkeit ist eine Illusion. Sie hält unter Umständen noch nicht einmal einen Lebensabschnitt an oder noch nicht einmal 20 Jahre. Das wurde auf einmal geistig eingebrannt.
Mit Dynamik ergreift der technische Ehrgeiz immer unbegrenzter alle Lebensbereiche. Die in Serie angewandte Architektur, auf immer gleichförmigere Produktionsweisen getrimmte, sind auch in der Stadtarchitektur überall mehr und mehr sichtbar.
Exklusive teure Einzel Design Objekte gewähren noch Individualität für’s Auge. Weniger exklusiv und erfreulich wohltuend war die Langenfelder Kunst Aktion um 2006 unter dem Motto „Die Hähne sind los”. Weiße Styropor Hähne wurden optisch mit einem künstlerischen Federkleid ausgestattet. An einigen Plätzen haben die zirka eineinhalb Meter hohen bunt bemalten Kunstwerke bis heute überlebt und stehen zum Beispiel am Immigrather Kreisel oder in der Stadtgalerie in dem unbelebteren Einkaufsbereich. Sie verschwinden aus Altersgründen allmählich.
Wie schnell verschwinden gehen kann, merkte ich sogar bei meiner Arbeit im Grafikstudio Feyerabend. Dort bekam ich Kontakt zu Herrn Demuth. Er schwärmte vom Langenfelder Forum und seiner Beschäftigung mit Stadtgeschichte, Biografien. Doch bevor ich seine und die Arbeit anderer zum angedachten Termin dort kennenlernen konnte, ging er von dannen. So schnell kann sich etwas unwiederbringlich ändern. So unwiederbringlich wie die Koniferen an der B 8. Nach aufwändiger Straßenerneuerung wurde sie verwaltungstechnisch an die Stadt zurückgegeben. Damit verlor sie gleichzeitig ihren Status und ihr kurzes prägnantes Kürzel. Kleine gelb übermalten Vierecke auf den blauen Verkehrshinweisschildern erinnern vorübergehend noch an ihren alten Namen „B 8“.
Und tatsächlich, die bis dahin an der B 8 abends großräumig sichtbaren Sonnenuntergänge, wurden so massiv in kurzer Zeit verbaut, wie ich es mir vorher nicht hätte vorstellen können. Jetzt im Jahr 2018 sieht man das Werk. Für Rewe, dm, Apotheke und Restaurant mit großem Parkplatz, wie ich es aus früheren Amerika Besuchen kenne, sind die ehemaligen Spargelfelder nach kurzer Bauzeit zur neuen Heimat geworden. Feldfläche mußte außerdem dem dortigen neuen Kreisel und mehreren Wohnhäusern weichen. Sie reichen sehr dicht an das einst letzte kleine Haus an der westlichen Bebauungsgrenze heran.
Ein letzter größerer Baum, inzwischen so groß wie das gesamte kleine Haus, wirkte in diesem Komplex seltsam verloren, einsam. 2017, mitten während der nebenan statt findenden Bauarbeiten, wurde er gefällt. Eine Stadt muss sich immer neu erfinden, heißt es lapidar. Hier ist aus Natur in fast nur wenigen Jahren ein eigenes nüchternes nützliches Stadtquartier aus dem Boden von Menschenhand gewachsen. An der ursprünglichen Bebauungsgrenze ist jetzt noch nicht einmal ein kleiner Rest Sichtidylle verblieben. Hier ist ein monströses Umfeld entstanden. Ein großer Zweckbau zur Konsumversorgung drängt sich in den Vordergrund.
Nützliche optimierte hohe Wohnhäuser verkleinern optisch das ältere Haus an der früheren Bebauungsgrenze. Sinnig ist sein großer Banner: „Erste Hilfe“. Mit umgebenden Schattenmauern, eingequetscht im Häusermeer an der B 8 übermittelt es fast bemitleidenswert damit, als wenn es selbst um „Erste Hilfe“ lechzt. Das ist Verschwinden auf Raten. Wann wird dieses Haus verschwinden, fragt man sich unwillkürlich, dieses einst weithin sichtbare, halb frei stehende Familienhaus? Wann steht dort ein großer Wohnkasten? Jetzt ist seine ehemaligen Wirkung nicht wieder zu erkennen. Seinen Eingang säumt nun ein kleiner Stellplatz. Es ist der Platz der ehemaligen drei hausgroßen Koniferen, die damals standhaft wirkten, wie drei grüne romantische Leuchttürme. Ab und zu parkt nun ein roter oder silberfarbener PKW dort. Und als ich im August 2018 vorbeifuhr, konnte ich nun wegen der entfernten Bauabsperrungen deutlicher wahrnehmen, dass sogar zur Straßenverbreiterung offensichtlich auch noch der Vorgarten dieses Hauses, also auch noch ein Teil des ehemaligen „Drei-Koniferen-Standortes“ abgetrennt und überteert worden ist, für eine extra Fahrspur hin zum Einkaufsparadies. Von drei Seiten ist es eingeengt worden. Ich frage mich, rollt nun über die ehemaligen Wurzeln der Koniferen jetzt der alltägliche Einkaufstourismus sekündlich darüber? Das Banner „Erste Hilfe” ist weg. Tatsachen sind geschaffen worden. Anfang August ist es seitlich am Zaun sichtbar mit Werbung für Erste Hilfe Kurse, während das Haus saniert und neu gestrichen wird.
Wer das Alte nicht kennt, wird es nicht vermissen. Die Fast-Postkartenidylle früherer Zeiten, an Langenfelds Stadtrand Nord West, vermisst nur derjenige, der sie kannte und mochte, mit ihrem freien weiten Blick auf den Himmel. Seine schönen Sonnenuntergänge, die bizarren Wolkenbilder oder Regenbögen, von der B 8 weithin sichtbar, sie sind nun einfach von Haus- mauern verdeckt.
Die Abrißbirne wütet weiter, aktuell an der Ecke Theodor Heuss Straße auf dem Schulgelände. Anfang August 2018 ist dort bereits nur noch ebenes Erdreich sichtbar. An vielen Plätzen entsteht eine neue Baustelle. Auf der Solinger Straße, kurz vor der Unterführung, neben dem AWO Haus, auch auf dem Weg nach und in Richrath wütet die Abrißbirne. Was der Krieg verschonte, dort schlägt sie 2018 zu, zum Beispiel im Juli an der Ecke Klosterstraße, Kaiserstraße. Es ist unübersehbar.
Aus einem länglichen niedrigen Wohnhaus mit wenigen Geschossen wurde Schutt, um Platz für teure Eigentumswohnungen zu schaffen. Vielleicht noch wenige Monate, und der Ortseingang nach Richrath ist nicht wieder zu erkennen. Sogar die Rheinische Post nimmt sich am 1. August mit der wohlklingenden Überschrift „Neues Tor zu Richraths Mitte“ des Themas an, mit einem Foto eines, geplanten kompakten Wohn-und Geschäftshauses. Dieser Nachfolgebau wird also ebenfalls größer, meist wird größer, so wie ich das zuvor von anderen Langenfelder Nachfolgebauten berichtete. Aus dem RP Artikel geht hervor, dass es sich bei dem abgerisseneren Gebäude um ein ehemaliges Wohnhaus handelt, das in den letzten fünf Jahren nicht genutzt worden ist. Aus den früheren Mietwohnungen werden jetzt 16 Eigentumswohnungen und Gewerbe. Bei dem derzeitigen engen Wohnungsmarkt, stimmt das nachdenklich. Ist das Gentrifizierung? Unzählbar werden große Häuser hochgezogen, so wie hier. Und ein paar Tage später berichtet die RP, dass mit der Bahn nun eine Einigung erzielt worden ist, den oberirdischen Schrankenübergang unterirdisch zu verlegen, für einen störungsfreien Verkehrsfluss.
Im Büro Feyerabend gucke ich auf das fast noch dörfliche Treiben auf der Kaiserstraße und den gegenüber liegenden Edeka Laden. Früher soll er ein Kino beherbergt haben? Schwer vorstellbar. Schwer vorstellbar sind auch Zukunftsbilder. Bleibt der historische Ortskern Richrath erhalten? Zu wünschen ist es ihm.
Wie bei einem guten Rezept, schafft erst die strukturelle Mischung ein wohlfühlendes Flair. Was passierte da an der B 8? Alt und neu, würdig nebeneinander, wird das wenigstens hier eine Zukunft haben, frage ich mich, und mache für heute Feierabend beim Grafikstudio Feyerabend, das ebenfalls ein Teil der sich immer schneller drehenden Ökonomie ist. Auch hier wird für wirtschaftliches Wachstum Werbung produziert. Wie wird Richrath in 20 Jahren aussehen, wenn es wächst?
Ich fahre über die B 8, vorbei an den Wurzeln der ehemaligen drei Koniferen, vorbei an verschwindender freier Natur. Exklusivere Neubauten stehen dort. Ist das vielleicht wirklich bereits die Eingangspforte der viel diskutierten Gentrifizierung, dass billige Wohnungen verschwinden zugunsten teurer Wohnfläche? Ich dachte, das existiert eigentlich nur weit weg in Großstädten? Jetzt denke ich anders. Aber das ist nicht meine Baustelle, das ist Baurecht. Doch wenn Natur quasi vor der Haustür so rasant verschwindet oder Verdichtung hautnah heranrollt, frage ich mich auf einmal, ist denn das Naturrecht wie das Baurecht nicht genauso gleichwertig geschützt? Bißchen Natur hier überbauen, ein bißchen dort und schon verändert sich historischer Charme so grundlegend? Das wirtschaftliche Zentrum scheint ständig im Umbruch zu sein.
Warum muss nicht wenigstens jeder Wohnort, jeder Arbeitsplatz, der Naturfläche versiegelt pari einen normalen Baum vorweisen, für gesunde Luft, so wie das bei KFZ Stellplätzen geregelt ist, kommt mir spontan in den Sinn. Überhaupt, warum werden die Bäume in der Stadt immer mickriger gezüchtet und die Häuser immer höher gebaut? Baum ist nicht mehr Baum, Natur ist nicht mehr Natur, so wie ich es als Selbstverständlichkeit kenne. Jetzt wird nur darauf gewartet, wann kann wo Natur mit Beton bebaut, versiegelt werden, auch
weil wir anspruchsvoller im Flächenverbrauch geworden sind.
Als Ergebnis erlebe ich momentan „Natur” als verfügbare bewegliche Baumasse. Den Erholungswert erlebe, empfinde ich derzeit mehr und mehr dem freien Spiel der Marktkräfte ungeschützt preisgegeben.
Ruck zuck verfliegen solche Gedanken, denn der dichte Verkehr Richtung Düsseldorf erfordert meine volle Konzentration auf das alltägliche Treiben. Die nächste Baustelle kommt bestimmt, und je schneller solange die Zinsen niedrig sind.
7. August 2018
Nachtrag April 2019
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